Ausgrabung in Raznibirsk
bringt antikes ??? zutage

Donnerstag, 12. April 1934

Rödelheimer vom Fieber genesen; lieblichen Brief von Herzogin Henriette erhalten. Es macht sich langsam aber sicher der triumphierende Einzug des Herbsts bemerkbar, oh wie schwer die Luft doch auf den Blättern der Bäume lastet, bis diese schließlich nachgeben und zum Sterben zu Boden taumeln. Expedition mit Rödelheimer nach Raznibirsk, der prähistorischen Stätte in den Auen des Kupfernen Flusses, ist für die nächste Woche geplant.

Samstag, 14. April 1934

Diese Nacht war es so weit, wir haben es beide kommen sehen; möglich auch, dass es erst am Sonntag geschieht. In den Sternen stand es geschrieben, doch verschleierte ein Wolkenband die klare Sicht. Er wird kommen, das ist gewiss, und er wird sich diesmal nicht so leicht zufrieden geben. Mich schaudert es.

Dr. Rödelheimer in Athen (1929).

Sonntag, 15. April 1934, 03:34 Uhr

Wir sind früh aufgebrochen, wohl aus dem innersten Verlangen heraus, das uns bisher hat bewahren können. Seit zwei Stunden marschieren wir durch die makellose Weite der Steinwüste und planen noch vor Sonnenaufgang das große Marmorplateau zu überqueren. Rödelheimer plagt Knochenschwund, das Haupthaar fällt ihm aus. Ich verzeichne einen kratzenden, stechenden Schmerz in den Knien, zwinge mich jedoch zum Fortschreiten. Wir singen, um uns bei Laune zu halten.

19:10 Uhr

Rödelheimer hat es mit Mühe überstanden, aber ich werde ihn hier zurücklassen müssen. Habe ihm versprochen, auf dem Rückweg seine Überreste mitzunehmen, sollte es ihn dahingerafft haben. Es fällt mir schwer allein aufzubrechen, doch ein abenteuerlicher Duft liegt in den Lüften und verdrängt alle sentimentalen Gefühle.

Montag, 16. April 1934

Am Morgen Ankunft in Raznibirsk. Das Bild der archaischen Stadt hat etwas Eigentümliches an sich. Man fühlt sich beobachtet aus all den Lehmziegelhäusern, deren zerfallene Öffnungen wie leere Augenhöhlen einer ungeheuerlichen Fratze aus allen Winkeln herab schielen. Ich hülle meine Arbeit wie einen Schutzwall um mich. Beginne sogleich mit den Ausgrabungen. Den Aufzeichnungen nach befindet sich das Nordportal unter dem heutigen Pegel des Flusses.

Freitag, 9. November 1934

Über ein halbes Jahr ist vergangen, seit ich das Heiligtum der Erde entriss. Es prunkt auf einer zierlichen Vitrine, in der ich Rödelheimers Knochen aufbewahre. Man würde es nicht verstehen. Es hat nur Unheil gebracht. Eine schwarze Wolkenfront bahnt sich am Horizont an, bereit mich zu verschlingen. Ich werde keinen Widerstand leisten.

Gekocht am 2. Oktober 2006.
Zuletzt aufgebraten am 28. April 2014.